Freitag, 5. September 2014

Polnisches "Mittelalterfestival" - die habens drauf!

Aloha!

Während wir letzte Woche in Schlesien waren, haben wir am Samstag in Racibórz an der Oder Freunds Tante besucht und während des Spaziergangs durch die Stadt ein Plakat für ein "Raciborski Festiwal Średniowieczny" gesehen, das verdächtig nach Mittelaltermarkt aussah. Kurzes Nachschlagen im Wörterbuch bestätigte den Verdacht, und Freunds Tante ließ sich leicht überreden, da mal hinzufahren, zumal der Eintritt frei war.
Schon 100 Meter entfernt sahen wir eine imposante Rauchwolke. Der offenbar eklatante Mangel an Brandschutzverordnungen ermöglicht in Polen zumindest extrem authentische Mittelaltermärkte! In diesem Fall war es genauer gesagt eigentlich ein Wikingerlager... Hier haben sich die ganzen polnischen Asatru also versteckt!

In einem riesigen Lager haben sich grob geschätzt rund 200 ziemlich authentisch aussehende Personen herumgetrieben - sogar mit etwas romantisierten Frisuren (was immerhin bei den Männern oft aussieht wie eine Art Irokesenschnitt mit abrasierten Seiten). Vor fast jedem Zelt war eine Grube für ein Feuerchen ausgehoben, einige Lagernde waren ganz fleißig und haben sich einen Graben und Wall gebuddelt.
Eins von diversen kleinen Feuerchen.
Schildwall vorm Fresszelt.
Zumindest zwei Grüppchen sah ich, bei denen alle gleiche Schilde gebaut hatten. Vorrangig war das ganze eher ein Lager mit Schreigesang-Darbietungen der Gruppe Sudarynja, etwas verwirrend für das nicht-slawische Ohr...Man klicke hier für ein Video auf youtube.

Aber es gab auch einige Verkaufsstände, die fast alle auch wirklich selbst hergestellte Waren anboten - besonders niedlich fand ich das Spielzeugboot (eher links im Bild)! 

Verschiedene angebotene Waren...
Kettenhemdbikini!
Die Verkaufsstände waren wirklich eine überraschende Abwechslung von dem Einheitsbrei, den man auf deutschen Märkten hauptsächlich findet, und für Handarbeit auch extrem preiswert. An den meisten Ständen konnte man bei der Herstellung direkt zusehen. Und sogar den ominösen Kettenhemdbikini gab es!
Wir hielten uns nur zurück, weil wir befürchteten, dass Freunds besonders herzliche Tante jede Gelegenheit am Schopf ergreifen würde, uns alles mögliche zu spendieren... Sie fand das ganze wohl ziemlich amüsant, wenn auch ein bisschen ungewohnt und verstörend, aber ist offen genug, um sich sowas gern mal anzuschauen (was auch der Grund dafür ist, dass wir von der ausufernden Freundschen Verwandschaft während unserer Polen-Reise nur sie besucht haben...).
Am Rand des Lagers gab es dann noch eine Bühne und ein paar unauthentische Stände für Bier und Brot. Und einen Schrein für Odin... Grad vor kurzem hab ich mich noch gefragt, wie die polnischen Asatru es eigentlich schaffen, in dem stockkonservativen und leider religiös ziemlich intoleranten Polen öffentlich zu praktizieren... und so machen sie es. Knallen den ahnungslosen Mittelaltermarkt-Touris ihren Schrein, ihren Gesang, ihre Feuerchen, ihre Schilde, ihr Blót-Essen und alles einfach vor die Nase - denn erkennen tun es nur Eingeweihte. Für alle anderen - wie Freunds Tante - ist das ganze einfach eine kuriose altertümliche Kostümveranstaltung.

Tatsächlich auch noch da: ein Schrein mit Trankopfer für Odin!

Alles in allem: Die habens drauf!

Mittwoch, 3. September 2014

Warnung: Ihr Ziel liegt auf einer unbefestigten Straße

Aloha!
Heute wird es nostalgisch, back to the roots und ein bisschen creepy! Vor kurzem bin ich mit Freund in quasi das hinterste Kaff in Oberschlesien gefahren, in dem seine Familie noch ein zerfallendes Bauernhaus stehen hat, das aber wohl demnächst verkauft werden soll. Letzte Gelegenheit also, um es zu sehen, Fotos zu machen und ein bisschen zu plündern...

Haupthaus mit Plumpa und rechts der ehemalige Pferdestall, im Dachboden ein Taubenstall.
Das Haupthaus wurde 1933 gebaut und später noch durch ein paar Ställe erweitert (weiter links am Haus, aber nicht auf dem Bild, ist noch ein Schweine- & Kuhstall, eine Scheune und eine Laube mit Schmeide drunter). Die Ecke vorne links auf dem Bild wurde mal zerstört, als im zweiten Weltkrieg eine Bombe in den Hof fiel.
Auf dem Hof lebten zuletzt Freunds Großeltern, Tante, Eltern und irgendwann auch noch er und sein Bruder zusammen, bis seine Eltern sich zur Flucht nach Deutschland entschieden, als er etwa 2 war. Da das Haus bis 2007 noch von der Oma & der sie pflegenden Tante bewohnt wurde, gab es dank der typisch polnischen Renovierungswut irgendwann auch Strom, Wasser, Heizung und Telefon. Inzwischen sind Wasser, Heizung und Telefon abgestellt und die Öfen kann man nicht mehr verwenden, weil die Ofenrohre bei der Modernisierung entfernt wurden. Aber wir hatten Strom! Aus der Plumpa (Pumpe) vor dem Haus war leider auch kein Wasser mehr gewinnbar...
Ein Problem des Hauses ist die Kszypopa (sprich: Kschipoppa), ein kleiner Dreckbach direkt dahinter. Man hat das Haus damals mit Absicht direkt dran gebaut, damit man jeglichen Siff quasi direkt aus dem Küchenfenster in die Kszypopa kippen kann - und dabei eben nicht beachtet, dass sie das Erdreich durchfeuchtet, so dass das Haus zum einen absackt und Risse kriegt und zum anderen einfach jede Wand nass wird und anfängt zu schimmeln...
 
Wegen dem Schimmel in den Schlafräumen, wegen den uralten Strohmatratzen und weil wir nicht unbedingt in einem Strohbett schlafen wollten wo Freunds Oma starb oder er gezeugt wurde entschlossen wir uns, unser Basislager in der Izba, also in der Stube aufzuschlagen, und rollten unsere Schlafsäcke auf dem ausklappbaren Sofa aus.
Dreckbach (schlesisch: Kszypopa) direkt hinterm Haus.
Die Uhren im Haus sind alle irgendwann zu unterschiedlichen Zeiten stehen geblieben.
Wir kamen nachts an, und da war das Haus ziemlich creepy - vollkommen verlassen, und obwohl Freunds Eltern zwischenzeitlich öfters mal da waren, stehen einige Dinge offenbar noch genau so, wie beim Tod der Oma zurückgelassen, z.B. der seit diesem Tag nicht mehr abgerissene Wandkalender. Hinzu kommen etliche Kruzifixe und Bilder von Heiligen oder Bibelszenen. In gewissem Maße ist das für polnische Haushalte ja normal, aber hier war das ziemlich dominierend und in dem alten, verlassenen Haus auch echt gruselig...
Weil Freund mir zumindest das Haupthaus gleich zeigen wollte, ging es noch nachts auf den Dachboden - auf dem wir das Licht nicht anmachen konnten, da sonst sofort die Sicherung rausfliegt. Die folgenden Fotos hab ich am nächsten Tag mit Licht gemacht, aber man kann sich vielleicht vorstellen, wie das gewirkt hat, wenn man da im Dunkeln mit Handytaschenlampe unterwegs ist und sich nicht auskennt. Besonders creepy fand ich die beiden nachträglich reingebauten Räume - das eine war ein Schlafzimmer, in dem anderen fanden wir eine Sammlung von Kruzifixen und Fleischwölfen...
Hinter dieser Tür ein Schlafzimmer...
...hinter dieser creepy Zeug.
Da Sitz & Holzboden vom Plumpsklo außerhalb des Hauses keinen wirklich vertrauenserweckenden Eindruck mehr machten und wir außerdem keine Lust hatten, nachts durch zig kalte Räume nach draußen zu schlurfen, zweckentfremdeten wir einen alten emaillierten Eimer und stellten ihn in der an unser Basislager angrenzenden alten Küche auf. Nachttöpfe gab es nicht - Freund meinte, seit Generationen würde dafür schon einfach ein Eimer benutzt. Na dann. Solche alten Eimer werden übrigens auf Berliner Trödelmärkten zu völlig überzogenen Preisen angeboten.

Am nächsten Tag und bei Licht haben wir zunächst den Eimerinhalt hinters nächste Gebüsch geschüttet, uns im Hof gegenseitig im Kanister mitgebrachtes kaltes Wasser über den Kopf gekippt und dann den Rest des Bauernhofs erkundet. Nachfolgend ein paar Bilder...
Laube für die Schmiede mit Amboss und Esse.
Beides fanden wir später in einem Abstellraum.
Hier die Scheune, die sogar noch angenehm
nach Stroh und Heu roch.
Suchbild: Im Dachboden über dem Pferdestall
liegt ein Ei.
Im Keller stehen noch 13 Jahre alte Vorräte
in Weckgläsern.
Hier eine Hundehütte und ein Kessel, in dem
früher Teer geschmolzen und transportiert wurde.
Absolut vertrauenerweckende Ski-Bindung.
Es fanden sich noch einige sehr praktische Dinge, die man heute so nur noch schwer oder teuer bekommt... Freund fand eine Schiebelehre und ich ein rustikal aussehendes Holzkistchen, in dem ich jetzt meinen Seifenvorrat aufbewahre. Da ich ja kein großer Fan von Kunststoff bin, hab ich mich sehr über emaillierte Schüsseln und einen Eimer *räusper* gefreut. Auch zwei Spritzen aus Glas hab ich gefunden, so dass ich fürs Dosieren meines Orchideendüngers etc. jetzt keine Plastikeinmalspritzen mehr brauche. Für meine Mama und mich hab ich zwei alte Milchkannen aufgetrieben, da sie nach sowas schon ewig sucht und ich sie als Vase für Sonnenblumen gut gebrauchen kann. Nur den niedlichen Trichter auf dem Bild habe ich zurückgelassen, der war unten fast zugerostet. Man beachte auch die von Hand bemalte Tapete!
Küchenutensilien & schöne Tapete.
In Freunds Familie war ja nach Ankündigung unserer geplanten Reise erstmal helle Aufregung, das könne man mir doch nicht zumuten mit dem Plumpsklo usw. usf. (über die gruseligen Kruzifixe hat sich natürlich niemand Gedanken gemacht...). Dass ich gerne campe und wir früher im Garten auch ein Plumpsklo hatten, hat nicht viel beruhigt. Dass wir trotzdem gefahren sind und ich aus dem Hof nicht rückwärts wieder raus bin, hat mir einige Pluspunkte bei Freunds Eltern eingebracht. Es war wirklich lustig - vor allem die Aktion, als vom Nachbarn ein Huhn über die Mauer gehüpft kam und wir versuchten, es mit Schreien, Klatschen und Knüppelschwingen wieder zurück zu scheuchen...
 
(Hat übrigens nicht geklappt - es rannte unerreichbar hinter einen Holzhaufen und stellte sich derart erfolgreich tot, dass wir zunächst befürchteten, es habe einen Herzkasper wegen uns bekommen - irgendwann hat es dann aber wohl der sehr gechillte Nachbar wieder abgeholt, denn am nächsten Tag war es weg).

Abgesehen vom Hof haben wir uns noch Krakau und Breslau angesehen. Krakau gilt zwar als die schönste Stadt Polens, mir war da zu viel Trärä um die Altstadt, das wirkte ein bissel verkrampft. Ich mochte Breslau (polnisch übrigens Wrocław, ausgesprochen wie "Wrotzwaff") irgendwie lieber. Aber vielleicht hab ich auch nur Vorurteile, weil meine Uroma ja aus Breslau kam. Sie hat die Stadt vor knapp 100 Jahren verlassen, und der nächste Mensch aus unserer Familie, der danach wieder in diese Stadt kam, war ich am letzten Freitag. Schon ein komisches Gefühl - zudem ich einige alte Personen gesehen habe, die meiner Uroma sehr ähnlich sahen. Da scheint sich doch ein gewisser Menschenschlag erhalten zu haben.
Meine Mama hat mir noch einen unglaublich hilfreichen Tipp mitgegeben: Uroma wohnte nahe einer Kirche. Na, das schränkt ja den Suchradius immens ein in Polen...