Sonntag, 9. Juni 2013

Zwei Heiden auf dem Pilgerpfad St. Jost

Gude!
Gestern ist etwas sehr merkwürdiges passiert: das absolut ungetaufte Jynkx und der ebenfalls ungetaufte Lieblingskumpel sind einen ökumenischen Pilgerpfad im einem germanischen Gott gewidmeten deutschen Mittelgebirge entlanggepilgert.

Der St. Jost Pilgerweg ist mit entspannten 22 km Länge auch für eine Tagestour ideal. Alle Infos und die Karte dazu findet man auf der Homepage des Pilgerweges. St. Jost hätte im 7. Jahrhundert eigentlich ein Fürstentum geerbt, wurde aber lieber Pilgerer, Prediger und Eremit. Er ist darum auch der Schutzpatron der Pilgernden, passt also ganz gut für die erste Pilgerreise.

Eine Stunde Busfahrt durch Odenwälder Käffer brachte uns bis Niedernhausen, von wo aus wir us schonmal warmwandern konnten zur ersten Station, der St. Johannes der Täufer Kirche. Dabei kamen wir am Schloss Lichtenberg vorbei und fanden schon erste Markierungen des Pfades. Fast wären wir die letzte Etappe des Pilgerpfades, den Erleuchtungspfad vom Schloss zur Kirche, schon entlanggelaufen. "Glücklicherweise" verirrten wir uns aber ein bissel (muss man sich ja erstmal dran gewöhnen wie sowas ausgeschildert ist...) so dass wir unsere Erleuchtung nicht zu früh verpasst bekamen.
Rückblick: die ersten 100 m geschafft!
An der Kirche, in die wir kurz hineinschauten, begann der Weg ziemlich motivierend: aus der Kirchentür raus gradezu die Treppe und den Berg runter. Diese Etappe heißt passenderweise auch Aufbruchspfad. Man denkt sich "Und los!" Ein Infoschild informierte uns noch darüber, dass Gott(™) uns segnet und behütet, während wir unterwegs sind.

Nach einer kurzen Strecke durch das Dörfchen und an einem extrem lauten Froschteich vorbei gelangte man im Wald zu einer Ruine der ehemaligen Kapelle für St. Jost. Es ist nicht mehr wirklich was davon übrig, aber es wurde ein Kreuz aufgestellt und eine offene Kapelle aus Holz erbaut. Danach folgte der Stille Pfad, der teilweise eher nach Trampelpfad aussah So richtig viel Pilgerbetrieb scheint hier noch nicht zu sein...
Offizieller Pilgerweg.
Schließlich gelangte man aber auf einen breiten Feldweg mit schöner Aussicht auf Niedernhausen, das schon ganz schön weit weg schien, und etwas später zu einer kleinen Anhöhe. Darauf liegt die Station Zwölf Apostel, gut geeignet für die erste kleine Brotzeit und das Auftragen von Sonnencreme, denn bei uns war es langsam Mittagszeit und die Sonne knallte hier schon ziemlich auf uns zwei motivierte Pilgernde herunter. Wir entdeckten, dass ein Grüppchen neugepflanzter Bäume um die Sitzgelegenheit wohl die 12 Apostel symbolisieren sollte. Wenn die Bäume etwas dicker werden, wirds jedenfalls ziemlich kuschlig in dem kleinen Kreis darin...
Super Wetter, und so schöne Blumen zum Pimpen des Pilgerhutes.
 
Die Hinweistafel für die nächste Etappe informierte uns, dass ein Steigender Pfad vor uns lag und wir nun einen Stein hinaufschleppen sollen, in den man hineinlegt, was auch immer man gern loswerden möchte. Der folgende Anstieg war auch unabhängig vom fix gesuchten Stein schon etwas anstrengend, zumal er größtenteils in der prallen Sonne lag. Lieblingskumpel (der ürbigens bei meinem Geburtstagscamping auch mit unter anderem einer Auswahl von 5 verschiedenen Gläsern Brotaufstrich fürs Frühstück auf den Altkönig im Taunus gestiegen ist) hat sich trotzdem unterwegs noch 9 weitere Steine aufgepickt und mitgeschleppt.
 
Troll-Behausungen.
Es ging vorbei an den typischen Steinformationen, die man überall im Odenwald findet. Neben den Infos über alle möglichen am Wegesrand wachsenden Kräuter und Gräser bekam ich von meiner Pilgerbegleitung jetzt auch Hinweise, wie man sich mittels Mitführen eines Hahnes vor Trollangriffen schützen kann. Wir hatten zwar keinen Hahn dabei, aber da die Sonne noch fast senkrecht vom Himmel knallte bestand für die nächsten paar Stunden glücklicherweise auch erstmal keine Gefahr.
Bei der folgenden Station Rimdidim legten wir schließlich unsere Steine auf den großen Haufen, den andere Pilgernde dort schon angehäuft hatten. Damit legten wir symbolisch auch etwas ab, das wir im Leben loslassen wollten.

Zwar hieß die folgende Etappe auch wieder Steigender Pfad, es ging aber erstmal entspannend bergab und in herrlichem Sonnenschein weiter nach Süden, bis der Pfad relativ angenehm weiter anstieg. Da wir ja nebenbei immer wieder ein paar Geocaches gesucht haben, vertrödelten wir ziemlich viel Zeit in dornigen Gebüschen oder modderigen Gruben. Nach 4,5 Stunden auf der Neunkirchener Höhe mit dem Kaiserturm an. Mit 10,9 km reiner Pilgerwegstrecke ist hier etwa die Hälfte geschafft.
Aufgetürmte losgelassene Dinge.
Wir mampften zur Feier der Halbzeit die abgelatschten Kalorien in Form eines Kuchens aus der Gaststätte wieder drauf und marschierten dann auf dem Gnadenpfad durch schöne Landschaft weiter bis ins Dorf Neunkirchen. Es war etwas kälter geworden, aber durchaus angenehm zum Laufen.
Wieder schöne Wiesen...
Direkt hinter dem Ortsausgang hörten wir es plötzlich von Westen her laut grollen. Gewitter? Hmm. Es klang noch weit weg, und außerdem wurde uns ja gesagt, Gott behüte uns und so. Offenbar mag Gott es aber net, wenn Ungetaufte auf seinen Pilgerpfaden quasi schwarzfahren, denn es begann zu regnen. Passenderweise endete hier die Etappe Gnadenpfad, es begann der Tauferinnerungspfad. Aufgrund mangelnder Taufe konnten wir uns natürlich nicht erinnern, wurden aber dafür jetzt betröppelt. Ich hoffe, ich gelte jetzt nicht als getauft.

Nach einem kurzen Picknick unter einem Baum sah es so aus, als wäre der leichte Regel vorbei, das Gewitter schien vorbeigezogen. Also gingen wir weiter durch ein Waldstück zur Station Marienteichhütte. Hier suchten wir noch schnell einen Geocache, währenddessen begann es aber wieder zu regnen - und diesmal deutlich stärker. Wir entschieden uns, jetzt doch lieber einen Moment zu warten. Dann begann es zu hageln. Gott scheint uns nicht zu mögen. Als plötzlich ca. 50 m hinter uns ein Blitz einschlug und uns fast das Trommelfell wegfetzte, waren wir uns nicht sicher, ob Gott uns jetzt hasst oder ob das noch ein positives Zeichen war und der Blitz ansonsten die Hütte getroffen hätte... Vermutlich wollte aber nur Thor einfach mal wieder auf sich aufmerksam machen, damit nicht einer von uns versehentlich Christ wird.
Erkennt man net, aber:
es hagelt grade ca. 1 cm große Knollen.
 An den Bäumen flossen kleine Sturzbäche herab und der nahegelegene Bach begann sich an den Einflüssen zu überstauen. Inzwischen bestand der Marienteich nicht nur aus dem kleinen Steinteich vor der Hütte, sondern breitete sich auch um die Bänke und dahinter aus.
Schließlich wurden die Abstände zwischen Blitz und Donner immer länger, und nach einiger Zeit schien es nur noch zu regnen. Da wir schon eine gute Stunde warteten und langsam froren, beschlossen wir, schon weiter zu laufen.
Natürlich hatten wir auch weder langen Hosen noch Regenjacken dabei, wer kann denn sowas ahnen... Auf der Etappe Seligpreisungspfad waren die Bäche ziemlich reißend und die Wege sehr matschig.
Als wir aus dem Wald herauskamen, hatte es aufgehört und warme Luft kroch aus dem Tal nach oben. Die Sonne kam wieder heraus. Ein Teil aus dem Vers für diese Etappe schien mal wieder ziemlich gut zu passen: "Mein Geist frohlockt: Der Herr ist mein Retter."

Wieder deutlich besseres Wetter.
Es folgten ein weiterer Stiller Pfad und noch ein Steigender Pfad, den ich nicht als besonders hart steigend in Erinnerung habe, dann kamen wir an der Heuneburg an, einem Ringwall aus keltisch-germanischer Zeit. Zu erkennen ist der Haufen herumliegender Steine, der oben schon als Troll-Behausung gezeigt ist. Allerdings fanden sich hier einige Worte in germanischen Runen auf die Hinweisschilder gekritzelt und ein paar Blumen, die definitiv nicht von allein hier hochgekommen sind.

Ist bestimmt auch nervig für praktizierende Asatru, wenn hier ständig christliche Pilgernde langlatschen, darum machten wir uns aus dem Staub, bevor uns jemand für solche halten konnte. Es folgte ein Segnender Pfad, nach dem wir wieder in Niedernhausen ankamen und am Eselsbrunnen meinen 500. Geocache finden konnten. An diesem Brunnen wurde früher das Wasser mit Eseln zum Dorf hinaufgeschleppt, was dann doch noch unerwartet hoch lag. Mit letzter Kraft krochen wir eine ziemlich ungleichmäßige Treppe mit gemeiner Steigung hinauf, die in der Pilgerbroschüre ziemlich verharmlosend Wasserpfad genannt wurde.
Wir kamen an der Bushaltestelle vom Beginn unserer Expedition vorbei und gingen schließlich zum Schloss Lichtenberg hinauf. Vor über 8 Stunden kamen wir hier schon lang (und eine Hochzeit da drin war immer noch nicht vorbei). Diesmal fanden wir auf dem Erleuchtungspfad die Wegmarkierung, an der wir beim ersten Versuch vorbeigelatscht sind, und konnten uns auf dem Weg bergab zurück zur Kirche jetzt doch noch vollständig und nun auch voll berechtigt erleuchten lassen.
 
Unser Fazit: Dank Geocaching, Essenspausen und Gewitter haben wir 9 Stunden statt der angegebenen 7 benötigt und waren noch ziemlich fit. Auf eine zweite Runde hatten wir trotzdem keine Lust mehr. Die Zeit bis der Bus kam reichte dann gerade noch für ein Eis (sehr passend, da der nur alle 2 Stunden kommt). Insgesamt hat uns die Wanderung sehr gut gefallen, die Landschaft ist schön und abwechslungsreich und die 22 km waren echt bequem zu schaffen.

Mittwoch, 5. Juni 2013

Die gelbe Krawatte: warum vieles das Aufregen nicht lohnt

Aloha,
ich bin in einer Familie aufgewachsen, von der man den Eindruck gewinnen könnte, dass "sich aufregen" nicht nur eine Lebenseinstellung, sondern ein liebgewonnenes Hobby ist. Je älter ich wurde, mit je mehr Blödsinn ich mich jeden Tag auseinandersetzen musste und - leider - je mehr wirklich miese Dinge Freund und ich erlebt oder um uns herum mitbekommen haben, desto unsinniger kommt mir diese Aufregung über Lappalien vor. Ich nenne diese Lappalien gerne "gelbe Krawatten", denn es gab ein Erlebnis mit einer eben solchen, bei dem mir diese Entwicklung bewusst wurde.
 
In der Geschichte der Krawatte ging es darum, was Freund zur Hochzeit seines Bruders anziehen soll. Man muss dazu wissen, dass Hochzeiten eine sehr stimmige und intensive Kombination der meisten Dinge darstellen, die ich an Menschen nicht verstehe, die ich verstörend finde, die mich abschrecken und als dort anwesend sein müssende Person stark stressen.
Als nach einiger Anstrengung ein dem Freund halbwegs passender grauer Anzug gefunden wurde, forderte seine Familie, dass er dazu eine gelbe Krawatte tragen muss. Die Schwester der Braut habe ein gelbes Kleid, und sie und Freund sind Trauzeuge*in, da muss er neben ihr stehend zu ihr passen. Aber wie bescheuert sieht das denn aus? Und warum entscheidet eigentlich nicht er, was er anzieht, sondern die Schwester der Braut, nur weil die ihr gelbes Kleid schon hat? Und steht er mehr neben ihr, dass seine blöde Krawatte unbedingt das Gelb von ihrem Kleid haben muss, oder neben mir, wo gelb zu meiner Kleidung nun halt überhaupt nicht passt?

Kurzum: ein super Thema um sich tierisch aufzuregen!
Ich war damals kurz davor, hab dann aber spontan mehr oder weniger aus Selbstschutz entschieden: Es ist mir egal. Meinetwegen läuft er mit ner gelben Krawatte rum. Mir egal ob das dumm aussieht oder ob er sich durchsetzen kann oder nicht. Mir auch egal, ob wir nebeneinander dann dämlich aussehen. Ich steck da einfach keine Energie in Diskussionen, Vorschläge oder auch sinnloses Herumwettern mehr rein, denn:

Was verändert sich in meinem Leben wegen der Krawattenfarbe?
 
Option 1: Ich reg mich auf, such nach einer Alternative, er trägt eine zum Anzug passende Krawatte. Klingt schön, allerdings ist dann die Schwester der Braut sauer, was dazu führt, dass Freund Gewissensbisse hat, womöglich regen sich dann noch weitere Personen darüber auf, dass er keine gelbe Krawatte trägt. Ich bin aus Sicht der anderen schuld und böse, da ich ihm diktier was er anziehen soll und das wider dem Wunsch der Schwester der Braut, damit auch der Braut und quasi seiner ganzen Familie. Freund ist sauer, weil er glaubt dass alle ihm Vorwürfe machen und er prinzipiell alles falsch macht.

Option 2 (am wahrscheinlichsten): Ich reg mich auf, ich such nach einer Alternative, er trägt trotz besserer Vorschläge und obwohl er es selber hässlich findet Gelb, weil er Angst hat dass irgendjemand auf ihn sauer wird wenn er es nicht tut (ich zähl bei solchen Entscheidungen übrigens nicht mit - Freund opfert sich selbst regelmäßig für andere auf und sieht mich offenbar als Teil von sich selbst, der dann ganz selbstverständlich mitgeopfert wird). Was bringt das? Nichts, da er trotzdem aussieht wie ein Clown, seine Familie sich darin bestätigt fühlt dass der Junge letztenendes immer tut was man sagt, ich die ganze Hochzeit über eine Krise krieg wenn ich die Krawatte seh. Freund ist sauer, weil er glaubt dass alle ihm Vorwürfe machen und er prinzipiell alles falsch macht.

Option 3: Freund soll tragen was er will, ist mir völlig wurst. Für den Fall dass er Gelb trägt, fühlt sich seine Familie bestätigt, die Schwester der Braut ist glücklich, er hat halt kein Rückgrat, aber das ist ja sein Problem. Ich bin an nix schuld und hab meine Ruhe...
 

Man muss nicht immer alles so wichtig nehmen.
Ich musste an eine gewisse gelbe Krawatte zurückdenken, die meine Freundin Toffel vor Jahren mal aus einem Geocache gezogen hatte. Wir haben die Krawatte angeguckt, dann uns, und haben uns dann halb totgelacht, wie so ein potthässliches Teil in diesen Cache kommt. Leider hat Toffel diese Krawatte inzwischen nicht mehr, aber ich hab mir trotzdem vorgestellt, wie Freund dieses Teil bekommt und trägt - ich glaube das war letztenendes der Auslöser für meine kleine Erkenntnis.
Sich über sowas aufzuregen leert nur den mentalen Akku, den ich grade für diese Hochzeit dringend benötigte.

PS: Er musste sich auf Erlass seiner Mutter übrigens dann sowohl eine gelbe als auch eine zu meiner Kleidung passende Krawatte kaufen und diese während der Hochzeit wechseln, um zunächst zum Kleid der Trauzeugin und dann zu mir zu passen. Ich hingegen hab während des gesamten Tages höchst unrepräsentativ eine zerlumpte graue Strickjacke von ihm getragen, da ich Fieber hatte.